Holländische Perlen
Holländische Perlen - Die Sexwelle und ihre Auswirkungen
In den 1960er Jahren fand eine Erneuerung in vielen Ländern im Filmbereich statt. Frankreich mit seiner Nouvelle Vague, in Deutschland gab es die Neue Deutsche Welle und in den Niederlanden nannte man es Nieuwe Golf. Das Zuschauerinteresse blieb aber gering. Der Film Obsessions von Pim de la Parra war eine Ausnahme. Pim de la Parra und Wim Verstappen mit ihrer Produktionsfirma Scorpio erkannten schnell die Zugkraft von Sex und Erotik und wollten dies mit ihren anspruchsvollen Filmen verbinden. Ihre Produktion Blue Movie konnte, nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Filmzensur, 1971 in regulären Kinos gezeigt werden. Damit begann die Sexwelle im niederländischen Film. Zur Sexwelle, die ungefähr von 1971 bis 1975 dauerte, gehörten unter anderem Paul Verhoevens Turks fruit (Türkische Früchte) und die Scorpio-Filme Frank en Eva, Alicia und Mijn nachten met Suzanne, Olga, Julie, Piet en Sandra. Frans Weisz drehte De inbreker (Der Einbrecher), der im Rotlichtviertel spielte und Naakt over de schutting (Nackt über den Zaun), der das Pornofilmemachermilieu beleuchtete. Der ältere Fons Rademakers versuchte mit Because of the Cats ebenfalls mit dem Zeitgeist zu gehen. Auf der Liste der bestbesuchten niederländischen Spielfilme aller Zeiten steht im Jahr 2006 noch immer an erster Stelle Türkische Früchte, auf Platz vier Wat zien ik? und auf fünf Blue Movie. Zusammen erreichten sie etwa 8 Millionen Besucher.
Natürlich war Türkische Früchte kein hardcore-Film und 'echten' Sex enthielt er nicht, aber es gab ziemlich explizite Szenen, die zeigten, daß Sex selbstverständlich sein und in einem Publikumsfilm mit einer Geschichte, in der es um mehr ging, überzeugend integriert werden konnte. Verhoevens Film überwand endlich das Gefühl, daß der einzige Zweck das Brechen des Sex-Tabus war, oder daß der Rest eines Films ein Vorwand für die Sexszenen war. Türkische Früchte sprach primär die Gefühle an und beeindruckte durch die Kombination von Großen Gesten und Subtilität, Grobheit und Sensibilität, die für das Werk Verhoevens und seinen Drehbuchautorr Gerard Soeteman charakteristisch wurden. Die Sexwelle im niederländischen Film hatte sowohl einen emanzipatorischen als auch einen geschäftlichen Aspekt. Provokation galt an sich schon als emanzipatorisch - auch in einem kommerziellen Film - in einer Zeit, in der das Wort 'Obzönität' noch überall durch die Gerichtssäle wehte. Tun, was nicht erlaubt war, wie primitiv auch immer, wurde eine politische Tat.
Die niederländische Sexwelle ging 1975 dem Ende zu. Trotzdem gab es immer wieder Filme, die Grenzen in der Darstellung von Sexualität überschritten. Frans Zwartjes Pentimento aus dem Jahre 1979 rief kontroverse Diskussionen hervor. Lasse Braun realisierte seinen Hardcore Porno Body Love mit Musik von Klaus Schulze 1977 in den Niederlanden. Anfang der 1980er Jahre realisierte Willem van Batenburg einige Pornofilme. Pruimenbloesem aus dem Jahre 1982 wird hier als Beispiel gezeigt. In den 1990er Jahren erregten Victor E. Nieuwenhuijs und Maartje Seyferth Aufsehen mit ihrem Film Venus in Furs nach dem bekannten Buch von Sacher-Masoch. Ian Kerkhof, das Enfant Terrible des niederländischen Kinos legte mit Shabondama Elegy einen Film vor, der explizite Sexszenen enthielt. Die Hauptrolle spielt der bekannte Schauspieler Thom Hoffmann. Cyrus Frisch entthronte bald Ian Kerkhof und realisierte mit Vergeef Mee 2001 einen umstrittenen Film. Sylvia Kristal, bekannt aus Emmanuelle Filmen, ist mit dabei.
Diese kleine Filmreihe wird unterstützt vom Niederländischen Filmmuseum.
12.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Türkische Früchte
1973, 112 Min., Paul Verhoeven, Kam: Jan de Bont, mit Rutger Hauer, Monique van de Ven, Deutsche Fassung
Der etwas heruntergekommene Bildhauer Erik begegnet beim Trampen Olga. Sie wird die Liebe seines Lebens. Trotz Heirat entscheidet sie sich gegen ihn und haut mit einem reichen Amerikaner ab. Nach einigen Jahren erfährt Erik, dass sie inzwischen als Nutte ihr Dasein fristet und an einem unheilbaren Gehirntumor leidet.
Nach der packenden und kontrovers aufgenommenen Vorlage von Jan Wolkers entstand ein Film, der zwischen Pornographie und Brutalitäten ungemeines Gespür für eine realistische Erzählweise entwickelt. Der von Starkameramann Jan De Bont ("Speed") fotografierte Film begründete den späteren Ruhm des Regisseurs und der beiden Hauptdarsteller und wurde für den Oscar nominiert. Paul Verhoeven (1938) studierte Mathematik und Physik, bevor er sich für ein Filmstudium entschied.
13.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Body Love
1977, 90 Min., Lasse Braun, Musik: Klaus Schulze, Englische Fassung
Body Love 1 und 2 waren seinerzeit skandalumwitterte Produktionen von Klaus Schulze, weil sie die Soundtracks zu zwei gleichnamigen Softpornos des dänischen Regisseurs Lasse Braun waren. Der interessierte Käufer bekam diese Teile in etlichen Plattenläden nur unter dem Tresen durchgereicht. Todsicher haben die Verkäuferinnen keinen einzigen Ton dieser Fusionscheiben gehört, sonst wäre das nicht nötig gewesen, denn Klaus Schulze arbeitete hier nur noch mit echten elektronischen Klangerzeugern, ließ sich aber, zur Erzeugung der nötigen Rhythmik, wieder von Trommler Großkopf unterstützen. Das Resultat war letztlich eine harmonische, sehr eingängige und fast schon kommerzielle Musik, die ohne den Ruch des Bösen sicherlich in den Hitparaden ein gutes Bild abgegeben hätte.
14.10., 22 Uhr, Brotfabrik und
17.10., 19:30 Uhr, Kino Arsenal
Pentimento
1979, 73 Min., Frans Zwartjes, mit Ronald Beer, Babeth, Moniek Toebosch, Keine Dialoge
Der zweite Spielfilm von Frans Zwartjes spielt in einem verlassen Gebäude. Während eines Festmahls gibt es Misshandlungen und Morde.
Frans Zwartjes (1927), ein Musiker, Violinbauer, Maler arbeitet seit 1968 auch im Filmbereich.
15.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Pruimenbloesem
1982, 68 Min., Willem van Batenburg, mit Diane de Koning, Tanja Overeem, Niederländische Fassung mit wenig Dialog
Der erste niederländische Pornofilm zeigt eine promiske Ehefrau, geplagt mit einem eifersüchtigen Ehemann und ihrem unstillbaren Verlangen nach Sex.
Der Regisseur Willem van Batenburg (1943) betrieb ein Sexkino in Utrecht, nachdem ihn die Filmhochschule abgewiesen hatte.
16.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Venus in Furs
1994, 70 Min., Victor E. Nieuwenhuijs, Maartje Seyferth, Drehbuch: Ian Kerkhof, Victor E. Nieuwenhuijs, Maartje Seyferth, Cam: Victor E. Nieuwenhuijs, mit Hilt de Vos, Niederländische Fassung mit englischen UT
Stilisierte, moderne Fassung von Leopold von Sacher-Masochs 1869 erschienener Novelle, in der Severin und Wanda ihre sadomasochistische Beziehung per Kontrakt regeln. Während Severin in seiner Sklavenrolle Erfüllung findet, gibt sich seine Herrin Wanda auch der lesbischen Liebe hin.
17.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Shabondama Elegy
1999, 80 Min., Ian Kerkhof, mit Thom Hoffmann, Mai Hoshino, Englische Fassung
European Boy meets Japanese Girl in der Hardcore-Version. Er - auf der Flucht - taucht mit ihr ab ins Reich der Sinne. Auf engstem Raum und im Zeitraffer zeigt SHABONDAMA ELEGY Liebe, Leidenschaft, Lust und Verrat im Tokio der 90er Jahre. Der Film nimmt zwar deutliche Anleihen beim Letzten Tango von Paris und bei Godards Klassiker Außer Atem, läßt die Vorbilder aber vor allem formal alt aussehen: Durch Kerkhofs rauschhafte Bilder, schnelle Schnitte und digitale Verfremdungen erreicht SHABONDAMA ELEGY eine mitreißende Eigendynamik, die kongenial vom Soundtrack unterstrichen wird.
Ian Kerkhof wurde 1964 in Südafrika geboren und lebte neun Jahre in Holland. Von 1981 bis 1983 studierte er Politik- und Theaterwissenschaften an der Universität von Durban. Von 1983 bis 1991 arbeitete er als Korrespondent, u. a. in Polen, Italien, Großbritannien und Südafrika. Kerkhof hat unter seinem Namen diverse audio-visuelle Programme und Aufführungen realisiert und als Schauspieler und Cutter für verschiedene Filmprojekte gearbeitet.
18.10., 22 Uhr, Brotfabrik
Forgive Me
2001, 83 Min., Cyrus Frisch, mit Ellen Ten Damme, Sylvia Kristel, Nico, Chiquita, Niederländisch mit deutschen UT
"Menschen müssen verstehen, was es bedeutet, das Leid Anderer zu filmen." Ein irritierender, abstoßender und doch zugleich auch faszinierender Versuch von Theaterregisseur und (Dokumentar) Filmer Cyrus Frisch, auf schockierende Weise - es wird unter anderem erbrochen, uriniert und masturbiert - die Frage nach der Ethik des Filmemachens zu provozieren. Aber auch die nach der Moral von Zuschauern, die ihre Augen trotz größter Ungeheuerlichkeiten nicht von der Leinwand lassen können. So präsentiert er eine illustre Gesellschaft von Aussenseitern und Freaks, die er zwar mit Respekt und Liebe behandelt, für sein Projekt dennoch gnadenlos ausbeutet. In "Forgive Me" verkauft Frisch dem Teufel seine Seele - begleitet von Szenen aus Murnaus Stummfilmklassiker "Faust" -, und versucht, die Grenzen des Erträglichen durch ebenso brutale wie reale Darstellungen auszuloten. Doch zu seiner Verzweiflung lieben Publikum wie Kritik seine "Dokumentation". Also geht er noch einen Schritt weiter.... "Forgive Me" schont keinen der Beteiligten, weder Akteure, Zuschauer noch den Regisseur selbst. Geschickt montiert, in seinen Fragen präzise und seiner Stimmung poetisch hat Cyrus Frisch einen Film von wahrhaft schockierender Schönheit geschaffen.