Deutsch | English

Vorwort zum 15. Pornfilmfestival Berlin 2020

Ein Pornfilmfestival in Zeiten des Coronavirus – geht das überhaupt? Diese Frage haben wir uns seit März immer wieder gestellt, und schnell wurde uns klar: So wie bisher, als rauschendes Fest mit hunderten Filmen und tausenden Zuschauer:innen, wird das Festival nicht stattfinden können. Sollte man es dann nicht gleich ganz ausfallen lassen und für nächstes Jahr aufs Beste hoffen? Diese Frage beantworten wir mit einem entschiedenen: Nein! Denn so wichtig Vor- und Rücksicht in diesem seltsamen Coronajahr sind, so ernst nehmen wir auch eine andere Aufgabe dieser Zeit: Menschen wieder zusammen zu bringen, zu Veranstaltungen, im öffentlichen Raum. Denn auch der kulturelle Kahlschlag und der Verzicht auf ein öffentliches Leben machen krank.

Somit haben wir uns entschieden, auf Grundlage der geltenden Publikumsbegrenzungen, Abstands- und Hygieneregeln dennoch ein Festival im Kinoraum zu veranstalten, auch wenn wir nur wenige Tickets anbieten können und wir die vollen Säle und die ausgelassene Stimmung der letzten Festivaljahre mindestens ebenso vermissen werden wie Ihr. Da den Besucher:innenzahlen in unseren Festivalkinos Moviemento und Babylon Kreuzberg durch den Gesundheitsschutz enge Grenzen gesetzt sind, machen wir in diesem Jahr erstmals einen Teil des Programms per Streaming online zugänglich – im Anschluss an das Festival und in Zusammenarbeit mit unseren Freund:innen von PinkLabel.TV. Den Festivalpass für das Onlineprogramm könnt Ihr vom 1. bis 25. Oktober 2020 im Vorverkauf erwerben, die Filme sind dann im Anschluss an das Festival eine Woche lang – vom 26. Oktober bis zum 1. November 2020 – bei PinkLabel.TV zu sehen.

Unsere Retrospektive „Ein Virus kennt keine Moral – Die Aids-Ära im Kino“ blickt zwar zeitlich zurück in die 1980er und 90er Jahre, ist aber dennoch hochaktuell. Als wir in den ersten Wochen des Shutdowns Filme (wieder-)sahen, die während der Aids-Pandemie des 20. Jahrhunderts entstanden sind, wurden viele Parallelen zur Gegenwart des Coronajahres 2020 deutlich: von Begrifflichkeiten und Bildwelten, die heute wieder aktuell sind, bis zu Diskursmechanismen, die sich wiederholen. Der Herbst 2020 ist die richtige Zeit, um die ätzenden Satiren, die aktivistischen Dokumentarfilme oder die ergreifenden Melodramen der Aids-Ära wiederzusehen – einfache Antworten oder Lösungen für die Fragen und Konflikte der Gegenwart haben sie nicht zu bieten, wohl aber so manches Déjà-vu-Erlebnis und die eine oder andere Warnung.

Das reduzierte Programm umfasst in diesem Jahr neun Langfilme und sechs Kurzfilmprogramme während der Festivalwoche. Allerdings konnten wir uns angesichts der vielen tollen Filme, die wir auch für dieses Jahr wieder gesichtet haben, mit dieser kuratorischen Beschränkung nicht abfinden und haben beschlossen, aus der Festivalwoche ein Festivaljahr zu machen. Weitere Filme unserer Retrospektive sind den ganzen November über in wöchentlichen Screenings im Kino Moviemento zu sehen. Und eine monatliche Reihe von Pornfilmfestival-Kurzfilmprogrammen wird sich vom Dezember 2020 bis zum September 2021 durch das gesamte kommende Jahr ziehen, bis im nächsten Herbst das Pornfilmfestival 2021 vor der Tür steht, das wir dann hoffentlich wieder unter den gewohnten Bedingungen gemeinsam mit Euch feiern können.

Bis dahin: bleibt gesund, bleibt achtsam – und geht ins Kino, damit es das auch nächstes Jahr noch gibt!

Jochen Werner
Kurator Pornfilmfestival Berlin